08.04.2020

Die National Gallery of Art in Washington, DC, restituiert Pablo Picassos „Head of a Woman“ („Kopf einer Frau“) aus der Blauen Periode an die Erben des Nazi-Opfers und prominenten Berliner Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy

Provenienzforschung/Restitution


Presseerklärung, Washington, D.C., 31. März 2020

Die Erbengemeinschaft Mendelssohn-Bartholdy freut sich, öffentlich bekanntgeben zu können, dass die National Gallery of Art in Washington, DC (Nationalgalerie) ihnen die Eigentumsrechte an Pablo Picassos Pastell „Kopf einer Frau“ („Head of a Woman“) aus der Blauen Periode (1903) übertragen hat.

Paul Mendelssohn-Bartholdy verkaufte beziehungsweise gab das Pastell im Verlauf des Jahres 1934 in den Kunsthandel („sold under duress“), als die Nazis begannen, ökonomischen Druck auf ihn und weitere Familienmitglieder auszuüben. Er war wie viele andere jüdische Kunstsammler gezwungen, sich von seiner Sammlung zu trennen, die Meisterwerke von Koryphäen wie Picasso, van Gogh, Monet, Manet, Renoir, Braque und anderen enthielt.

Die Mendelssohn-Bartholdy-Erben haben in den letzten Jahren bereits drei Vergleichsvereinbarungen über Picasso-Kunstwerke („Le Moulin de la Galette“, „Boy leading a Horse“, „The Absinthe Drinker“) aus der Sammlung Paul von Mendelssohn-Bartholdys abschließen können. In allen drei Fällen wurden mit den damaligen Besitzern (MoMa, Guggenheim Museum, Sir Andrew Lloyd Webber Art Foundation) einvernehmliche Lösungen gefunden.

Paul von Mendelssohn-Bartholdy stammte aus einer der prominentesten und berühmtesten jüdischen Familie Deutschlands. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy war ein Familienmitglied, ebenso der Aufklärer Moses Mendelssohn. Die 1795 gegründete Bank Mendelssohn & Co. gehörte zu den 5 größten Privatbanken in Deutschland. Die Familie hatte auch viele andere erfolgreiche Geschäftsunternehmen initiiert. Beteiligt waren sie in der Zeit der Weimarer Republik u.a. nicht nur an der Gründung der BDO AG (damals Deutsche Waren-Treuhand-Aktiengesellschaft), sondern auch an der 1931 gegründeten „Akzept- und Garantiebank AG“. Kapitalbeteiligungen besaß die Mendelssohn-Bank auch bei der Bayerischen Vereinsbank, und zwar schon seit Anfang der 1920er Jahre.

Als Hitler und seine Gefolgschaft im Januar 1933 die Macht in Deutschland ergriffen, begannen sie unmittelbar danach, Juden aus der Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft Deutschlands auszugrenzen. Paul von Mendelssohn-Bartholdy, als ein führender jüdischer Privatbankier, Mitglied des Vorstands der Berliner Börse und bekannter Sammler moderner Kunst, war einer derjenigen, die alsbald ins Visier der Nazis gerieten.

Das Regime organisierte Boykotte gegen die Mendelssohn-Bank und die mit ihr verbundenen Unternehmen. Paul von Mendelssohn-Bartholdy war gezwungen, aus seinem Palais im Berliner Alsenviertel (heutiges Berliner Regierungsviertel) zu flüchten, um nicht Opfer des Nazi-Terrors zu werden; gleichzeitig schloss man ihn von wichtigen geschäftlichen und beruflichen Führungspositionen aus und verunglimpfte ihn und seine Familie in der Presse als „jüdische“ Schmarotzer und Staatsfeinde.

Der Unternehmenswert der Bank Mendelssohn & Co. sank durch die Boykottmaßnahmen. 1934 machten die Einnahmen Paul von Mendelssohn-Bartholdys nur noch einen Bruchteil (14%) des Wertes von 1932 aus. Um seinen rasant wachsenden Liquiditätsproblemen Abhilfe zu schaffen, begann Paul von Mendelssohn-Bartholdy mit der Auflösung seiner Sammlung moderner Kunst – darunter Picassos Pastell „Head of a Woman“.

Bis zur Machtübernahme der Nazis 1933 hatte Paul von Mendelssohn-Bartholdy kein einziges bedeutendes Werk verkauft. Es war der wirtschaftliche, soziale und politische Druck, der ihn zwang, sich innerhalb von etwas mehr als einem Jahr (Ende 1933 bis Anfang 1935) von mindestens 16 Meisterwerken (darunter Picassos, van Goghs, Braques und ein Renoir) zu trennen.

Nach dem Tod von Paul von Mendelssohn-Bartholdy im Mai 1935 setzte das NS-Regime seine Angriffe auf die Mendelssohn-Familie fort. Wirtschaftlich und sozial stand die Mendelssohn-Familie vor dem Ruin. Nicht nur „arisierte“ das Regime die Überreste der Bank Mendelssohn & Co., sondern sperrte auch einzelne Familienmitglieder in Konzentrationslager ein, andere wurden zur Flucht aus Deutschland gezwungen.

Die heute in aller Welt verstreut lebenden Mendelssohn-Erben danken der National Gallery in Washington für die Übergabe von Picassos Werk „Head of a Woman“. Es handelt sich bei dem Pastell nicht nur um ein bedeutendes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts, sondern auch um ein Werk, das an die bewegte Geschichte einer kunstaffinen Familie erinnert, die im Deutschland der Vor-Hitlerzeit eine bedeutsame Rolle gespielt hat.

 

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