28.01.2020

Wie gedenken wir in Zukunft der Opfer der Schoa?

Gedenkkultur


 Ein Gedenk- und Ausstellungsprojekt am Mahnmal „Gleis 17“

Eine Kombination von Gedenkstätte, Forschungseinrichtung und 150 Apartments für Studierende entsteht nahe des einstigen Deportationsbahnhofs in Berlin-Grunewald / Der Campus wird nach der Schriftstellerin Else Ury benannt / Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch übernimmt die Schirmherrschaft

 

Wie gedenken wir der Schoa, welche Orte des Erinnerns haben wir und wie werden wir bzw. die folgenden Generationen in Zukunft mit dieser Erinnerung umgehen? Diese Fragen werden in der Moses Mendelssohn Stiftung immer wieder behandelt. Jetzt wird ein studentischer Campus geplant, auf dem neben einer Ausstellung zum Mahnmal Gleis 17 künftig über die Formen des Erinnerns und des Gedenkens nachgedacht werden soll. Der Campus wird an die mehr als 55.000 Berliner Jüdinnen und Juden erinnern, die ab Herbst 1941 vom Gleis 17 mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Die Moses Mendelssohn Stiftung, deren erklärte und satzungsmäßige Aufgabe darin besteht, im Sinne des Gemeinwohls in Wissenschaft und Kultur neue Entwicklungen anzuregen sowie Kreativität und Engagement auf verschiedenen gesellschaftlichen Feldern zu fördern und Projekte zu unterstützen, die der Verbreitung von Aufklärung, Vernunft und Toleranz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft dienen, hat dafür eine Liegenschaft erworben, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Mahnmals „Gleis 17“ befindet, und will darauf einen aktiven Gedenkort für junge Menschen schaffen.

Auf dem Campus werden Studierende unterschiedlicher Disziplinen und aus verschiedenen Ländern gemeinsam wohnen und lernen. „Die unmittelbare Nähe zum Mahnmal Gleis 17 soll für angehende Wissenschaftler Motivation sein, sich mit dem historischen Ort auseinander zu setzen.“, erklärt Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung und Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ). „Es geht uns darum, ein innovatives und integratives Ausstellungs-, Vermittlungs- und Wohnkonzept zu entwickeln.“

 

Konkret ist bereits die Benennung des Campus. Studierendenapartments der Moses Mendelssohn Stiftung werden traditionell nach Persönlichkeiten benannt, die im deutsch-jüdischen Kontext von Bedeutung sind. Der Campus am S-Bahnhof Grunewald wird nach der Kinderbuchautorin Else Ury (1877–1943) benannt, Verfasserin der seinerzeit weit verbreiteten Kinderbuchreihe „Nesthäkchen“. Else Ury wurde im Alter von 65 Jahren von Berlin aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort am 13. Januar 1943 ermordet. An diese wichtige, aber heute weitestgehend vergessene Vertreterin des deutschen Judentums soll der Campus künftig erinnern.

Im Erdgeschoss eines der drei geplanten Gebäude wird die Stiftung eine Dauerausstellung zu den historischen Hintergründen des Mahnmals „Gleis 17“ entwickeln. „Wir wollen, dass hinter den Namenlosen und den nackten Zahlen die Menschen wieder sichtbar werden, die von hier aus in die Todeslager transportiert wurden“, bemerkt der Vorstandsvorsitzende Schoeps. Um die Biografien und Schicksale möglichst umfassend darzustellen, wird eine Datenbank angelegt, die alle Informationen der von Gleis 17 sowie den übrigen Berliner Bahnhöfen Deportierten in Erinnerung ruft. Die Bedeutung dieses Vorhabens unterstreicht auch die ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, die die Schirmherrschaft übernommen hat.

Die für Studierende und Auszubildende geplanten Apartments werden durchschnittlich 20 Quadratmeter groß und voll möbliert sein, sie bieten ein eigenes Bad sowie eine Küchenzeile. „Es gibt bereits 24 Wohngebäude in Deutschland und Österreich, die nach diesem Förderkonzept entstanden und nach jüdischen Persönlichkeiten benannt sind“, erläutert Schoeps. „In Berlin existiert bereits das David Friedländer Haus in der Kaiserin-Augusta-Allee, direkt an der Spree.“ Das Haus erinnert an den bekannten 1750 geborene Aufklärer, der sich – zunächst gemeinsam mit Moses Mendelssohn und noch intensiver nach dessen Tod – für die Emanzipation der Juden einsetzte.

In Anlehnung an die „Allee der Gerechten“ in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem soll auf dem Gelände im Grunewald zudem ein „Hain der Gerechten“ entstehen. Dort soll jener Menschen gedacht werden, die sich trotz der drohenden Sanktionen durch die NS-Diktatur der verfolgten Jüdinnen und Juden angenommen haben. Geplant sind dafür Informationsstelen im Außenbereich.Die Stiftung wird das Vorhaben mit eigenem Personal und Projektmitteln betreiben, setzt aber bei einzelnen Projekten auf Kooperationen und Vereinbarungen mit anderen Gedenkorten im Berliner Raum. Kooperationen wird es zudem mit den Hochschulen der Region geben.

 

Bilder: Rose auf Gleis (© Shutterstock/GBI Holding AG), Lageplan (© GBI Holding AG)