07.01.2020

Gabriele Tergit - Der private Nachlass

Nachlass-Erschließung


Bearbeiterin: Dr. Elke-Vera Kotowski
Laufzeit: seit 2014

 

Gabriele Tergit (Pseud. für Elise Reifenberg, geb. Hirschmann; 1894–1982) hatte sich als Gerichtsreporterin in Berlin einen Namen gemacht. Sie veröffentlichte bis 1933 Berichte, Feuilletons und Reportagen in verschiedenen Zeitungen (Berliner Tageblatt, Vossische Zeitung, Berliner Börsen-Curier, Prager Tagblatt). Ihre Beiträge waren engagiert und zeitkritisch. Insbesondere in ihren Gerichtsreportagen verwies sie auf die prekäre soziale Lage weiter gesellschaftlicher Kreise. Sie berichtete zudem über den ersten Prozess gegen Adolf Hitler am Moabiter Kriminalgericht; dieser stand neben Joseph Goebbels wegen eines Pressevergehens vor Gericht. Seither beobachtete Gabriele Tergit die nationalsozialistische Bewegung aufmerksam, was die Nazis dazu veranlasste, Tergit auf ihre Feindesliste zu setzen.

Ihren größten literarischen Erfolg feierte Gabriele Tergit mit dem Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm (1931). Im Genre des Großstadtromans erzählt sie den Aufstieg und Fall des Neuköllner Volkssängers Georg Käsebier, der durch eine immense Werbetrommel für eine Saison zum Star Berlins avanciert. Die Autorin verweist in diesem Roman bereits auf die unkalkulierbaren Gefahren der Reklame, jenem neuen Medium, das in den 1920er Jahren nach den USA auch ganz Europa überrollt.

Am 4. März 1933 entging Gabriele Tergit knapp einem SA-Überfall in ihrer Wohnung. Wenig später verließ sie mit ihrem Mann Heinz Reifenberg Deutschland. Über die Tschechoslowakei und Palästina gelangte sie 1938 nach Großbritannien und ließ sich in London nieder. Von 1957 bis 1981 war sie Sekretärin des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Dichter. Der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main übergab sie vor ihrem Tode das Archiv des Deutschen PEN-Club im Exil. Ihr persönlicher Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

Als Gabriele Tergits Schwiegertochter Penny Chettle 2014 den Dachboden ihres Hauses aufräumte, fand sie ein Konvolut an Briefen, Dokumenten und Zeitungsartikeln, die Gabriele Tergit – wie es scheint als ganz persönliche Erinnerungsstücke – aufbewahrt hat. Es sind beispielsweise Briefe aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, die sie u.a. von der Front erhielt. Ebenso finden sich Tageszeitungen aus der Zeit der Weimarer Republik, in denen sich Rezensionen von und über Gabriele Tergit befinden.

Dieser Dachbodenfund ist in mehrerlei Hinsicht erhaltens- und archivierungswürdig, mehr noch lässt sich vermuten, dass Gabriele Tergit gerade diese Dokumente als besonders wichtig erachtete und nicht als Gaben an die oben erwähnten Archive vorsah. Dieser Bestand ist daher von ganz besonderem Wert sowohl in Bezug auf die individuelle wie kollektive Erinnerungskultur, insbesondere hinsichtlich des recht umfangreichen Konvoluts an Briefen aus dem Ersten Weltkrieg, als auch hinsichtlich der konkreten Aufbewahrungspolitik von Gabriele Tergit, dessen Erforschung möglicherweise neue Aspekte in der Tergit-Rezeption eröffnen wird.